Vom Backblech in die Social-Media-Feeds
Ob in Berlin, Bremen oder Dresden – die Schlangen vor modernen Zimtschneckenläden wie Cinnamood oder CinnCity reichen oft bis auf die Straße. Was einst ein skandinavischer Klassiker war, hat sich inzwischen zu einem regelrechten Popkulturphänomen entwickelt. Food-Influencer befeuern den Hype mit ästhetischen Bildern von fluffigem Hefeteig, bunten Toppings und üppigen Füllungen. Die Zimtschnecke ist dabei längst kein schlichtes Gebäck mehr – sie ist Lifestyle, Statussymbol und Frequenzbringer im Stadtbild zugleich.
Skandinavische Wurzeln und globale Adaptionen
Ursprünglich stammt die Zimtschnecke, schwedisch „Kanelbulle“, aus Skandinavien. Dort ist sie ein fester Bestandteil der Fika – der traditionellen Kaffeepause mit Gebäck. Seit 1999 wird in Schweden sogar jährlich der „Kanelbullens dag“ am 4. Oktober gefeiert, was die kulturelle Bedeutung unterstreicht. Typisch für die nordische Variante sind geknotete Schnecken mit Hagelzucker und milder Würze – oft deutlich weniger süß als ihre amerikanischen Verwandten.
Diese US-Varianten – häufig „Cinnamon Rolls“ genannt – brachten mit üppiger Zimtzuckerfüllung und Frischkäsetopping einen neuen Stil ins Spiel. Besonders die Kette Cinnabon prägte seit den 1980er-Jahren das Bild der amerikanischen Zimtschnecke: saftig, fettig, riesig und sündhaft süß. Genau dieser Stil wird heute in deutschen Trendläden neu interpretiert – mit Instagramfilter, Rezeptvielfalt und Eventcharakter.
Social Media als Turbo für Teigrollen
Der Hype um Zimtschnecken wäre ohne TikTok, Instagram und Co. kaum denkbar. Das Gebäck ist wie geschaffen für ästhetische Darstellung: spiralförmig, farbenfroh verziert und im besten Fall mit „Pull-apart“-Effekt beim Aufbrechen. Food-Bloggerin Anna Heinrich (@annasbakes) erklärt: „Eine gut in Szene gesetzte Schnecke generiert mehr Likes als jedes Brot – das Auge isst hier mit, aber das Netz teilt gleich mit.“
Das Design vieler Läden ist bewusst „instagrammable“ – mit Pastelltönen, floralen Wänden, Neon-Leuchtschriftzügen und minimalistischer Ästhetik. Wer eine Zimtschnecke kauft, postet sie fast automatisch. Und genau das befeuert den „Fear of Missing Out“-Effekt (FOMO) unter jungen Zielgruppen.
Filialbooms und lokale Backkunst
Ein Paradebeispiel des Trends ist die Kette Cinnamood. 2022 gegründet, expandierte sie rasant – mit inzwischen über 20 Standorten in Deutschland, u. a. in Leipzig, Dortmund, Bremen, Stuttgart und bald auch in Dresden. Die Gründer setzen auf ein klares Konzept: hohe Wiedererkennbarkeit, visuelles Marketing und wandelbares Sortiment.
Doch auch kleinere Bäckereien greifen den Trend auf. In Berlin-Kreuzberg etwa bietet die vegane Backstube „Planty Sweets“ Zimtschnecken mit Lavendelglasur und Cashew-Cream-Cheese an. In Hamburg-Eimsbüttel hat „Backe & Seele“ eine glutenfreie Variante entwickelt, die regelmäßig ausverkauft ist.
„Wir wollten etwas schaffen, das ein Erlebnis ist – keine einfache Schnecke, sondern eine Art Gebäck-Event“, sagt Emir Ayari, einer der Gründer von Cinnamood, gegenüber dem Weser-Kurier.
Vielfalt auf der Schneckenkarte
Die Zeiten, in denen Zimt die einzige erlaubte Füllung war, sind vorbei. Heute reicht das Spektrum von Pistazie, Kürbiscreme und Weiße-Schokolade-Himbeer bis hin zu herzhaften Varianten mit Käse und Spinat. Besonders populär sind derzeit Salted Caramel und Lemon Cheesecake – eine Kombination aus Süße, Säure und Crunch.
Auch vegane und glutenfreie Schnecken haben ihren festen Platz im Angebot. Berlin, Hamburg und München gelten dabei als Hotspots der Experimentierfreude. „Wir wollten eine Variante, die auch Menschen mit Zöliakie schmeckt – ohne Einbußen beim Genuss“, so Konditorin Helena Meier vom Münchener Laden „Rollin’ Love“.
Handwerk, das man schmeckt
Was macht eine gute Zimtschnecke aus? Neben dem Geschmack zählen Textur, Teigführung und Frische. „Der Hefeteig muss wie ein Ohrläppchen sein – weich, aber elastisch“, erklärt Bäckermeister Markus Spindler aus Köln. Besonders entscheidend sei das Kneten – mindestens zehn Minuten – und eine lange Ruhezeit.
„Eine wirklich gute Schnecke rollt sich vier- bis fünfmal um sich selbst, enthält eine intensive Zimtfüllung und hat ein Frischkäsetopping, das nicht zu süß ist“, ergänzt Spindler. Toppings wie Zitronenzesten, karamellisierte Nüsse oder Ruby-Schokolade sorgen zusätzlich für visuelle Reize.
Zielgruppen und Verkaufsstrategien
Die Hauptzielgruppe der neuen Schneckenwelle sind urbane junge Erwachsene zwischen 18 und 35 Jahren – medienaffin, ernährungsbewusst, experimentierfreudig. Besonders Millennials und die Generation Z treiben den Trend. Preislich bewegen sich die Gebäckstücke meist zwischen 4,20 € und 4,90 € – deutlich über dem klassischen Bäckerpreis, aber akzeptiert im Kontext von „Food-Experience“.
„Die Leute wollen ein Produkt, das sich lohnt – nicht nur kulinarisch, sondern auch fürs Handybild“, so Social-Media-Beraterin Lili Rosenberg.
Auch Innenstadtentwickler beobachten die Entwicklung: Zimtschneckenläden bringen Laufkundschaft in ehemals ruhige Straßen. Der „Frequenzfaktor Zimtschnecke“ sei laut einem Bericht im Weser-Kurier mittlerweile sogar ein Argument bei der Innenstadtbelebung.
Wirtschaftlicher Wert und Risiken
Der wirtschaftliche Erfolg ist unübersehbar: Cinnamood etwa plant eine Franchise-Expansion und testet neue Food-Konzepte – u. a. Burgerläden unter ähnlichem Branding. Für klassische Bäckereien eröffnet sich eine Chance zur Rückgewinnung junger Kundschaft, wenn sie auf Qualität, Kreativität und Social-Media setzen.
Allerdings birgt der Trend auch Risiken. Wie bei Cupcakes, Bubble Tea oder Cronuts besteht die Gefahr der Sättigung. Zudem ist Zimt nicht ganz unproblematisch: Das enthaltene Cumarin kann in größeren Mengen gesundheitsschädlich sein. Besonders in der dänischen Variante mit Cassia-Zimt sind die Gehalte hoch. Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) empfiehlt daher eine tägliche Maximaldosis von 0,1 mg Cumarin pro Kilogramm Körpergewicht.
Wie geht es weiter? – Ein Blick in die Zukunft
Wird die Zimtschnecke ein fester Bestandteil urbaner Esskultur oder nur ein flüchtiger Hype bleiben? Vieles spricht für eine gewisse Langlebigkeit: die Vielfalt der Varianten, das handwerkliche Potenzial und die emotionale Bindung, die Menschen zu süßem Gebäck entwickeln.
Zugleich drängen neue Trends nach: gerollte Croissants, gefüllte Cruffins und TikTok-Backexperimente wie „Doughnut-Cubes“. Ob sich die Zimtschnecke behaupten kann, hängt davon ab, wie gut sie sich wandelt – etwa durch neue Teigarten (z. B. Sauerteig oder Vollkorn), herzhafte Optionen oder nachhaltige Verpackungskonzepte.
Symbol Zimtschnecke
Die Zimtschnecke ist längst mehr als ein einfaches Gebäck – sie ist Symbol eines urbanen Lifestyles, Influencer-Star, Wirtschaftsfaktor und kultureller Brückenbauer. Vom schwedischen Kaffeetisch über amerikanische Malls bis in die deutschen Innenstädte hat sie eine Entwicklung durchlaufen, die ihresgleichen sucht.
Ob sich der Hype hält oder abebbt, ist offen – doch fest steht: Wer heute eine Schnecke genießt, beißt in ein Stück Zeitgeist. Und vielleicht auch ein bisschen Kindheitserinnerung.
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